Theologie und Glaube Ausgabe 1/2023

Theologie und Glaube

Jahrgang 113
Ausgabe 1/2023

Mit Beiträgen von Matthias Jendrek, Carolin Neuber, Michael Konkel und Günter Scholz.

 

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit dem ersten Heft des Jahrgangs 2023 erscheint Theologie und Glaube in neuem Gewand. Das mittlerweile in die Jahre gekommene Layout der Zeitschrift wurde behutsam modernisiert. So finden Sie beispielsweise das Inhaltsverzeichnis in Teilen jetzt bereits auf der Titelseite. Selbstverständlich können Sie weiterhin die digitale Version der Zeitschrift auf der Website des AschendorffVerlags kostenfrei herunterladen (www.aschendorff-buchverlag.de).

Das vorliegende Heft setzt den Schwerpunkt beim Alten Testament, konkret beim Buch des Propheten Ezechiel. Von den drei großen Propheten ist Ezechiel der große Unbekannte. Seine Texte tauchen vergleichsweise selten in der Liturgie auf. Gerade anhand des Ezechielbuches lassen sich jedoch allgemeine Forschungstrends der Exegese exemplarisch aufzeigen. Dies gilt z. B. für die Wahrnehmung der Septuaginta, der noch vorchristlichen Übersetzung der Schriften Israels ins Griechische. Früher wurde sie nur benutzt, um von ihr aus Fehler im hebräischen Text korrigieren zu können. Heute hingegen wird sie als herausragendes Zeugnis einer Theologie des hellenistischen Frühjudentums wahrgenommen, die direkte Einblicke in die Auslegungs- und Redaktionsprozesse der biblischen Bücher erlaubt. Der Artikel von Matthias Jendrek zeigt dies exemplarisch an einem Vergleich der hebräischen und der griechischen Fassung von Ez 33,1–9 auf.

Die Rezeption von Theoriemodellen aus anderen Fachbereichen wie beispielweise der Literaturwissenschaft, der Psychologie oder der Soziologie hat es ermöglicht, zahlreiche neue Facetten der biblischen Bücher entdecken zu können, die mit dem Standardinstrumentarium der historischen-kritischen Methode nicht oder nur unzureichend beschrieben werden können. So wagt sich Carolin Neuber an eine neue Gesamtsicht des Ezechielbuches vor dem Hintergrund der sogenannten Übergangsriten (rites de passage). Das Ezechielbuch kann entsprechend als Versuch einer Transformation des Gottesvolkes in einen neuen Status verstanden werden.

Schließlich ist das Ezechielbuch geradezu ein Paradebeispiel für Gewalttexte, die für viele immer noch das Bild eines alttestamentlichen „Gottes der Rache“ repräsentieren. Michael Konkel zeigt in seinem Artikel auf, wie die Rezeption der Traumaforschung durch die Exegese es ermöglicht hat, diese verstörenden Texte auf eine neue Art wahrzunehmen.

Abgeschlossen wird das Heft durch einen Beitrag von Günter Scholz zu Sauls Philisterkriegen (1 Sam 13–14). Er zeigt nicht nur, dass die Literar- und Redaktionskritik lebendiger ist denn je, sondern auch wie hoch komplex die Redaktionsprozesse im Bereich der deuteronomistischen Geschichtsschreibung gewesen sein dürften.

 

Michael Konkel

 

Hörer des Horns. Zur Bedeutung eines alten griechischen Textzeugen für die Theologie des Buches Ezechiel.

DE: In Papyrus 967 ist eine literarische Variante des Buches Ezechiel bezeugt, die in weiten Teilen älter ist als die masoretische Buchgestalt. Ein Vergleich der Theologie der beiden Varianten ermöglicht Rückschlüsse zur Entstehungsgeschichte des Buches Ezechiel und zu den Übersetzungsprozessen zwischen dem Hebräischen und dem Griechischen. Die Verse Ez 33,1–9 liefern Beispiele für literarische Textvarianten, die den Sinn des Abschnitts verändern. Am auffälligsten sind Ergänzungen in den Versen 5 und 7, die im proto-masoretischen Text vorgenommen wurden.

EN: Papyrus 967 testifies to a literary variant edition of the book of Ezekiel, which is older than the Masoretic edition in most parts. Comparing theological implications of the variant editions allows conclusions regarding the book’s history, as well as regarding translation processes between Hebrew and Greek. Ezek 33:1–9 provide examples of literary variants changing the meaning of the passage. Plusses of the proto-Masoretic text in verses 5 and 7 are most obvious.

 

Mit den Exilierten im liminalen Raum. Vom transformierenden Potenzial des Ezechielbuches.

DE: Das Ezechielbuch hat Merkmale und Qualitäten, die auch sogenannte Übergangsriten (rites de passage) teilen: Sie enthalten einen Prozess, der über eine Schwellenphase hinweg in einen neuen Status führt. Dieser Prozess ist jeweils durch Symbole kodiert, wobei häufig Raumsymbolik eine Rolle spielt. Durch das Lesen oder Hören auf das Ezechielbuch kann jede Person an der Transformation teilhaben, bis heute.

EN: The Book of Ezekiel has characteristics and qualities that are also shared by so-called rites of passage: They contain a process that leads across a threshold phase into a new status. This process is coded in each case by symbols, with spatial symbolism often playing a role. By reading or listening to the Book of Ezekiel, each person can participate in the transformation, until today.

Doch ein Gott der Rache? Traumatheorie und die Eskalation der Gewalt im Ezechielbuch.

DE: Das Ezechielbuch präsentiert ein provokantes und verstörendes Gottesbild: Gott selbst entfesselt eine schier grenzenlose Gewalt gegen sein Volk, die in für das Alte Testament beispielloser Härte beschrieben wird. In den vergangenen zehn Jahren hat die Rezeption der Traumatheorie und das Verständnis des Ezechielbuches als Traumaliteratur neue Wege eröffnet, mit solchen Texten umzugehen. Anhand einer Analyse von Ez 16 zeigt der Beitrag auf, wie in heutiger Zeit die Gewalttexte der Bibel rezipiert werden können. 

EN: The book of Ezekiel represents an image of God that is provocative and disruptive. God himself unleashes an almost infinite violence against his people which is described in unprecedented harshness for the Hebrew Bible. The reception of trauma theory and the reading of the book of Ezekiel as trauma literature has offered new ways of dealing with such texts. By an analysis of Ezek 16, the paper shows how to read the biblical texts of horror in present times. 

 

Sauls Philisterkriege (1 Sam 13–14). Literarische Schichtung, Gottesbild und Ethik.

DE: Der Bericht über Sauls Philisterkriege ist ein Beispiel für einen intratextuellen Diskurs über die Beurteilung von Saul und Jonatan. Der Grundtext ist ein reiner Kriegsbericht. Dieser wird durch eine erste Fortschreibung zur positiven Jonatan-Legende, in der Jonatan im Einklang mit dem Kriegsgott agiert. Eine zweite Fortschreibung überlässt Jahwes direktem Eingreifen das Feld. Eine dritte Fortschreibung revidiert eine negative Jonatan-Legende und führt Sauls Fluch ad absurdum. Die deuteronomistische Redaktion verstärkt das positive Jonatan- und das negative Saul-Bild.

EN: The story about Saul’s war against the Philistines is an example for an intratextual discourse about the judgement of Saul and Jonathan. The basic text is a pure war report. It is transformed into the positive Jonathan legend by a first revision, in which Jonathan acts in unity with the God of war. A second revision hands over the field to Jahwe’s direct intervention. A third Fortschreibung revises a negative Jonathan legend and leads Saul’s oath to absurdity. The deuteronomistic redaction intensifies the positive image of Jonathan and the negative image of Saul. 

 

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