Digitales Kolloquium mit Peter Schallenberg zur Enzyklika „Fratelli Tutti“

Der Moraltheologe hielt das Schlusswort im Rahmen des digitalen Kolloquiums

Am 30. November 2020 veranstaltete die Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle (=KSZ) ein weiteres digitales Kolloquium zur neuen Enzyklika Fratelli tutti (=FT) von Papst Franziskus, die am 3.Oktober 2020 verkündigt wurde. Das bestimmende Thema der Enzyklika ist die „Soziale Geschwisterlichkeit“. Die Diskussion dieses Begriffs und insbesondere der damit verbundenen Implikationen für das ökonomische Denken stellte den Schwerpunkt des Kolloquiums dar, das zwei Panels umfasste: Unter dem Titel „Weltweite Geschwisterlichkeit: Zur Theologie und Sozialethik von Fratelli tutti“ sprachen die Theologinnen Frau Prof.’ Ursula Nothelle-Wildfeuer (Freiburg/Br.) und Frau Prof.’ Marianne Heimbach-Steins (Münster). Im zweiten Panel „Papst Franziskus Vision einer Ethik der Globalisierung“ lieferten der Philosoph Prof. Claus Dierksmeier (Tübingen) und der Ökonom Prof. Nils Goldschmidt (Siegen) ihre Beiträge.

Die Veranstaltung wurde eröffnet vom Präfekten des päpstlichen Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen Peter Kardinal Turkson, der in seinen Eröffnungsworten besonders betonte, dass in Papst Franziskus der „Hl. Franz von Assisi wieder lebendig“ geworden sei. Das Thema der Geschwisterlichkeit sei ein das Leben des heiligen Franz bestimmendes gewesen, da er mit Gott nur einen Herrn und mit seiner Seele nur einen einzigen Besitz gehabt habe, sei er ganz frei gewesen zusammen mit allen Menschen und der ganzen Schöpfung nur für das gemeinsame Lob Gottes zu leben. Diese Haltung der Geschwisterlichkeit setze Papst Franziskus in Bezug zu den drängenden Themen der Zeit. Daran schloss der Bischof von Essen Dr. Franz-Josef Overbeck an, der als Vorsitzender der Kommission der Deutschen Bischofskonferenz für gesellschaftliche und soziale Fragen zugleich oberster Dienstherr der KSZ ist. Er griff das von Papst Franziskus gebrauchte Bild auf, dass die Menschheit in einem gemeinsamen Boot sitze, was insbesondere die Corona-Pandemie gezeigt habe. Der Grundkonflikt unserer Tage, den FT beschreibe, sei dabei, dass einzelne Menschen und ganze Staaten sich immer wieder zwischen Angst, Abschottung und Eigeninteresse auf der einen und Mut, Zusammenarbeit, Gemeinschaftsinteresse auf der anderen Seite festlegen müssten, wobei es dazwischen viele Graustufen gäbe.

Diesen Aspekt einer Vermittlung von Partikularismus und Universalismus vertiefte Frau Prof. Nothelle-Wildfeuer in ihrem Vortrag „Liebe statt Gerechtigkeit? Papst Franziskus Konzept der Sozialverkündigung“. Geschwisterlichkeit sei dabei Papst Franziskus’ Übersetzung, des schon spätestens seit der Sozialenzyklika Quadragesimo Anno (1931) in der Sozialverkündigung der Kirche präsenten Begriffs der Sozialen Liebe. FT sei als ein Plädoyer für eine Kultur zu verstehen, die nicht eine Einheitsgesellschaft favorisiere, sondern die tatsächliche Anerkennung des Individuellen, die sich auch auf struktureller Ebene niederschlagen müsse um zwischen Partikularismus und Universalismus zu vermitteln.

Frau Prof. Marianne Heimbach-Steins schloss daran in ihrem Referat „Interreligiöser Dialog und (christliche) Sozialethik“ an. FT sei ein Plädoyer für die Anerkennung von Pluralität und Diversität was sich auch im Sprachstil von FT niederschlage: Die Enzyklika sei vielmehr eine Einladung zum Dialog und nicht Verkündigung einer feststehenden Position, sie wolle dem anderen auf Augenhöhe begegnen und ihn anerkennen. Darin zeige sich eine erste Kontur eines weltumspannenden Ethos, dass als interreligiös fundiert und dementsprechend dialogoffen aufgefasst werden könne.

Prof. Claus Dierksmeier griff diesen Gedanken in seinen Überlegungen unter dem Titel „Die Vision weltweiter Geschwisterlichkeit und das Konzept der Global Governance“ erneut auf, in dem er von der allgemeinen Frage ausging, wie sich religiös oder spirituell motivierte moralische Standpunkte so formulieren ließen, dass sie auch interreligiös und für nichtreligiöse Menschen anschlussfähig wären. Er unterschied dazu zwei theoretische Argumentationslinien in FT: eine klassisch-naturrechtliche und eine personalistische. Gerade von der Letzteren aus ließe sich mit FT eine Grundlage dafür finden, Diversität viel stärker wertzuschätzen, da die andere menschliche Person innerhalb personalistischen Denkens so aufgefasst würde, dass Beziehungen zu ihr das je eigene menschliche Personsein vertieften. Am Beispiel der Überlegungen aus FT zu einem Recht auf Migration zeigte er dann, wie sich aus einer personalistisch verstandenen politischen Liebe Argumente für eine Global Governance finden lassen könnten.

Prof. Nils Goldschmidt referierte zu“ Der globale Markt – Wurzel allen Übels oder doch möglicher Teil einer Lösung?“. Er stellte dabei vor allen Dingen heraus, dass man FT nicht unbedingt einseitig als Kapitalismuskritik lesen müsse, sondern die Enzyklika vielmehr als ein Plädoyer für die Soziale Marktwirtschaft auffassen könne. Darüber hinaus biete die Enzyklika auch für Ökonomen wichtige Impulse, beispielsweise fordere sie plurale Ansätze zur Beschreibung der wirtschaftlichen Wirklichkeit.

Der Direktor der KSZ, Msgr. Prof. Peter Schallenberg, schloss das Kolloquium und unterstrich dabei, dass FT mehr eine Vision als ein sozialethisches Lehrbuch sei und lud zu einer positiven Annahme des Dialogangebotes der Enzyklika und einer Weiterentwicklung der Impulse von FT ein.

Text und Fotos: Mag. theol. Stefan Gaßmann, Wissenschaftlicher Referent der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle

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