Welches Forschungsprojekt hat Sie nach Harvard geführt?
Zurzeit arbeite ich an einem englischsprachigen Buchprojekt über den Zusammenhang von Relativismus und Monotheismus. Sehr vereinfacht bedeutet Relativismus, dass Wahrheitsansprüche immer relativ und nie objektiv sind, dass sie also abhängig von einer jeweiligen Moral, einem Weltbild, einer Politik oder auch einer Religion sind. Dann kann es keine objektive, ungebundene Wahrheit geben, die für alle Zeiten und ohne die Rückbindung an einen Kontext gilt. Genau das scheinen aber monotheistische Religionen im Glauben an einen allmächtigen Gott zu behaupten. Dass es einen höchsten Gott gibt, soll ja gemäß dem traditionellen Monotheismus nicht nur wahr für diejenigen sein, die an ihn glauben, sondern für alle Menschen, unabhängig davon, ob diese das glauben oder nicht. Wie sich Relativismus und Monotheismus zueinander verhalten, welche Differenzierungen dabei zu berücksichtigen sind und ob es nicht auch Überschneidungen zwischen beiden gibt, ist also Thema meines Buches. An der Harvard Divinity School, also der Religionswissenschaftlichen Fakultät von Harvard, war Professor Francis X. Clooney, S. J. mein „Host“, also so etwas wie mein Ansprechpartner. Er ist ein international bekannter Forscher zum Monotheismus in indischen Religionen. Vor allem interessieren ihn monotheistische Strömungen im Hinduismus. Mit ihm konnte ich beispielsweise die Frage diskutieren, ob es relativistische Tendenzen im indischen Monotheismus gibt. Da kenne ich mich nur wenig aus.
Wie haben Sie Ihren Aufenthalt an der Harvard University erlebt?
An Harvard angebunden zu sein für ein Forschungsvorhaben, ist natürlich besonders faszinierend – auch wenn es für mich nur eine kurze Zeit war, die ich dort verbracht habe. Es ist ja vielleicht die angesehenste Universität der Welt. Sie hat für die USA eine nationale und eminent politische Bedeutung. Das machen zum Beispiel die derzeitigen Auseinandersetzungen um den Israel-Palästina-Konflikt deutlich: Wie die Präsidentin Claudine Gay sich positioniert, was sie sagt oder nicht sagt, ruft bis Washington kritische oder zustimmende Reaktionen hervor. Das zeigt die Bedeutung, die Harvard als eine der ältesten Hochschulen der USA genießt und das Prestige für viele Amerikaner, darunter viele Politiker, hier studiert zu haben.
Was fasziniert Sie besonders an Harvard?
Erstens ist es, wie schon betont, das besondere Renommee, die Internationalität und das hohe intellektuelle Niveau, das mich an Harvard fasziniert. In allen Fächern sind weltweit namhafte Lehrende vor Ort. So ist es etwa für Wirtschaftsstudierende durchaus möglich, einen Kurs bei der gerade ernannten Nobelpreisträgerin für Wirtschaft zu belegen oder in ihre Sprechstunde zu gehen. In vielen Fächern sind Nobelpreisträgerinnen und -träger an die Forschung angebunden oder lehren sogar. Zweitens ist der enorme Reichtum der Universität beeindruckend: Mit einem Endowment oder Vermögen von über 50 Milliarden Dollar ist sie die zurzeit wohlhabendste Universität der Welt. Zum Vergleich: Die reichste Hochschule Europas, die Universität von Cambridge, hat, würde man alle Colleges addieren,eine Vermögen von etwa sechs Milliarden Dollar. Das hohe Endowment ermöglicht es Harvard unter anderem, auch exzellente Studierende mit weniger wohlhabendem Hintergrund zu fördern. Drittens sind es die vielen hochkarätigen Veranstaltungen, die beeindrucken: die zahlreichen Vorträge, Konferenzen und Events in allen Departments.
Wie haben Sie die Studierenden erlebt?
Besonders auffallend war, wie stolz die Studierenden sind, zu den Wenigen zu gehören, die es hierhin geschafft haben. Im letzten Jahr hatte Harvard die geringste Aufnahmequote von allen Top-Universitäten: nur vier Prozent der Bewerberinnen und Bewerber wurden nach dem harten, mehrstufigen Aufnahmeverfahren zum Studium zugelassen. Überall laufen die Studierenden in den weinroten Harvard-Shirts herum, oft mit dem zusätzlichen Hinweis, an welchem Department sie studieren, also etwa „Harvard Law School“.
Wie ist das Leben auf dem Campus?
Der Harvard-Campus ist ein für die Öffentlichkeit zugänglicher Bereich. Jeden Tag besuchen tausende Menschen den Campus, die beeindruckt sind von der langen Geschichte der ältesten US-Universität und sich von Studierenden führen lassen. Der historische Campus, der so genannte „Harvard Yard“, ist besonders schön durch seine alten Gebäude, vor allem die berühmte Widener Library, die größte Universitäts-Bibliothek der Welt. Der Haupt-Lesesaal, der Loker Reading Room, ist beeindruckend und regt zum Studium an. Dass im Nebenraum eine der besterhaltenen Gutenberg-Bibeln ausgestellt wird, gehört dann einfach dazu. Zudem hat Harvard noch verschiedene hochklassige Kunst- und Naturkunde-Museen.
Was hat Ihnen weniger am Leben vor Ort gefallen?
Klare Antwort: die Preise! Viele Dinge sind etwa doppelt so teuer wie in Deutschland. Ob man im Supermarkt einkauft oder ins Restaurant gehen will: ein Glas Wein für 16 Dollar oder einen Cappuccino für 7 Dollar muss man sich leisten wollen oder können. Erstaunlicherweise scheint das viele Studierende nicht abzuschrecken: Die Cafés und Restaurants sind hier meist gut gefüllt mit vielen jungen Leuten.
Herzlichen Dank für das Gespräch.