Theologie und Glaube Ausgabe 3/2020

Theologie und Glaube

Jahrgang 110
Ausgabe 3/2020

Mit Beiträgen von Michael Konkel, Frank Sobiech, Klaus von Stosch, Bernd Irlenborn, Peter Schallenberg, Günter Wilhelms, Rüdiger Althaus, Stefan Kopp, Christoph Jacobs, Katrin Oel und Herbert Haslinger.

 

Abstand als Form der Nächstenliebe? Die COVID-19-Pandemie in der Sicht eines Alttestamentlers.

DE: Die Pflicht zur Wahrung von Abstand zum Schutz vor gefährlichen Infektions-krankheiten ist fest in der Tora verankert (Lev 13). Die konsequente Isolation eines Kranken stellt allerdings eine Ultima Ratio dar. Die grundsätzliche Geltung dieser Regeln wird auch vom Jesus der Evangelien nicht infrage gestellt (vgl. Mk 1,40–45par.) Das Alte Testament bedenkt auch die Folgen einer solchen Isolation: Einsamkeit ist gleichbedeutend mit Tod. In der Sicht der Bibel besteht der Schutz des Lebens nicht einfach in der Sorge um das nackte Überleben. Es bedarf einer ethisch-moraltheologischen Reflexion, wie ein Schutz von Risikogruppen ohne deren soziale Isolation gewährleistet werden kann.

EN: The duty of keeping a distance in the case of dangerous infectious diseases is firmly anchored in the Tora (Lev 13). However, the strict isolation of a patient is an ultima ratio. Even Jesus does not question the fundamental validity of such regulations (Mk 1:40–45par.) The Old Testament further reflects the effects of social isolation: loneliness means death. In the Bible, the protection of life is not simply the struggle for sheer survival. A cautious ethical and moral-theological reflection is necessary to evaluate how high-risk groups can be protected without being exposed to social isolation.

„Trauernde“ Papageien. Überseepost von Kaspar Rueß SJ über die Epidemie 1619/20 in der Ordensprovinz Peru. 

DE: Der Beitrag stellt den autografen Brief des Jesuitenmissionars Kaspar Rueß SJ (1585‒1624) vom 3. Dezember 1620 aus der Jesuitenresidenz in Santa Cruz de la Sierra im heutigen Bolivien an den Jesuitenscholastiker Philibert Nicolai SJ (1592‒1618) vor, in dem Rueß anschaulich und detailliert über die Schwierigkeiten seiner Mission unter den Indigenen sowie über eine in der Peruanischen Ordensprovinz ab Ende 1619 für zehn Monate unter der Bevölkerung grassierende Epidemie, wohl Beulenpest, berichtet.

EN: The contribution introduces a letter written by the Jesuit missionary Fr. Kaspar Ruess SJ (1585‒1624) to the scholastic Philibert Nicolai SJ (1592‒1618) in Germany from the Jesuit residence in Santa Cruz de la Sierra in present-day Bolivia on 3 December 1620. In his letter, Ruess gives a detailed and vivid account of the difficulties encountered by him during his mission among the indigenous tribes stricken by a ten-month epidemic – probably the bubonic plague – beginning at the end of 1619.

Die Corona-Krise als Lernfeld für Kirche und Systematische Theologie.

DE: Der Artikel erläutert vier Dimensionen, in denen sich unsere modernen Gesellschaften im Zuge der Corona-Krise für Fragestellungen der Religionen geöffnet haben. Die verstärkte Individualisierung ist hier als erste Dimension zu nennen, die eine große transformative Kraft für spirituelle Angebote entwickelt hat. Klassische Themen der Religion wie Kontingenz und Verletzlichkeit, aber auch Krankheit und Schuld, sind neu zu virulenten Themen unserer Zeit geworden. Schließlich erinnert die Corona-Krise daran, wie wichtig es ist, die christliche Erlösungsbotschaft in ihrem Hoffnungspotenzial für die Gegenwart auszulegen.

EN: The article tries to show four dimensions how the Corona-crisis helped religions to become relevant for modernity. The first dimension has to do with the response to the increased individualization which was possible through the virtual turn of spiritual facilities. The second and third dimension have to do with the subjects of contingency, fragility, illness and guilt which all gained new importance through the crisis. The last dimension tries to figure out how hope and salvation can become relevant within the crisis.

Irrelevanz der Gottesrede? Christlicher Glaube in der Corona-Krise. 

DE: Die Corona-Pandemie dürfte die sich schon seit langem abzeichnende christliche Glaubenskrise weiter verschärft haben. So wurden Vorwürfe laut, die Kirchen seien nicht „systemrelevant“ und die christliche Gottesrede erweise sich als widersprüchlich angesichts des Leids. Zwei unvereinbare Positionen traten in den Medien auf: Während die einen behaupteten, es gebe ein Mitwirken Gottes bei der Pandemie, sagten die anderen, es gebe kein solches Mitwirken. Dieser Beitrag umreißt die Folgen dieses Widerspruchs für die öffentliche Rezeption der christlichen Gottesrede.

EN: The coronavirus pandemic will most likely have exacerbated the ongoing crisis of Christian faith. Allegations have been made that the churches turned out to be systemically irrelevant and that Christian speech about God has proven to be contradictory in the face of suffering. Two incompatible positions were held: While some insisted on God’s involvement in the pandemic, others claimed that there is no such contribution. This article outlines the consequences of this contradiction for the public reception of Christian talk about God.

Ethik und Gesundheitsversorgung in der Corona-Krise.

DE: Die Corona-Pandemie ist der größte Einschnitt in unserer Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg. Durch das Phänomen der Medikalisierung werden brennglasartig soziale, politische und ethische Probleme gebündelt. Gesundheit wird als öffentliches Gut wahrgenommen und Krankheit als ein zu überwindendes malum physicum. Aus Sicht der katholischen Moraltheologie muss die absolut geltende Personenwürde jeder Güterabwägung vorausgehen. Im Sinne einer solidarischen Nächstenliebe muss die Frage nach dem „Sollen“ entscheidend sein, nicht die Frage nach dem menschlichen „Können“.

EN: The coronavirus pandemic is the biggest cut in our society since the Second World War. The phenomenon of medicalization has brought together social, political and ethical problems in a focal point. Health is perceived as a public good and disease as a “malum physicum” that must be overcome. From the point of view of Catholic moral theology, the absolute dignity of the person must precede any weighing of goods. In the sense of a solidary charity the question of what shall be done must be decisive, not the question of what can be done.

Umgang mit Unsicherheit. Sozialethische Anmerkungen zur Corona-Krise.

DE: Die Corona-Pandemie übt einen ungeheuren Druck aus und erzeugt Unsicherheit. Für ihren Umgang mit Unsicherheit hat die moderne Gesellschaft, das zeigt ein Blick in die soziologische Gegenwartsdiagnose, bestimmte Reaktionsformen ausgebildet, die sich vor allem in der Risiko- und Krisenkommunikation beobachten lassen. Diese durch Reflexhaftigkeit gekennzeichneten, häufig mit Moralismus und Sachzwanglogik verbundenen Reaktionsformen sind aus ethischer Sicht problematisch, weil sie die für Reflexion nötigen Spielräume verschließen. Der Umgang mit Unsicherheit müsste stattdessen den mühsameren aber belastbareren Weg wählen und diskursive Formen annehmen.

EN: The COVID-19 pandemic creates enormous pressure and insecurity. As sociological analyses of the present show, modern society has set up particular forms of reaction for coping with insecurity, which can especially be observed in risk- and crisis communication. These forms of reaction that are often characterised by reflex and linked to moralism and a logic of inherent necessity are problematic from an ethical point of view because they do not leave room for reflection. The handling of insecurity should instead adopt a more tedious but also more reliable route and take on discursive forms.

Die Corona-Krise 2020. Kirchenrechtliche Schlaglichter.

DE: Die Corona-Pandemie veranlasste die staatliche Autorität zu Restriktionen, die auch das religiöse Leben einschränkten – doch waren diese mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit vereinbar? Auch die kirchliche Autorität setzte eine Reihe von Vorgaben – doch wie war es um deren formalrechtlichen Charakter bestellt? Zudem gab es im kirchlichen Leben eine Vielzahl von „Notlösungen“ mittels neuer sozialer Medien – inwieweit geben diese direkt oder indirekt Impulse für die „normale“ Seelsorge?

EN: The coronavirus pandemic caused state authority to impose restrictions that also limited religious life – but were these compatible with the fundamental right to religious freedom? The church authority also set a number of guidelines – but what about their formal legal character? In addition, there were a variety of makeshifts in church life by means of new social media – to what extent do these directly or indirectly give impulses for “normal” pastoral care?

„Gott im Lockdown“. Kirchliche Festkultur in herausfordernden Zeiten.

DE: Die Lockdowns, aber auch die teilweise sehr einschränkenden Hygiene- und Schutzmaßnahmen lösten seit Beginn der Corona-Krise 2020 Diskussionen über eine angemessene Feier des Gottesdienstes in diesen herausfordernden Zeiten aus und betrafen die kirchliche Festkultur insgesamt. Exemplarisch sollen in diesem Beitrag daher zwei ortskirchlich wichtige Feste in Deutschland und ihre Durchführung im Jahr 2020 vorgestellt werden: das Liborifest in Paderborn und das Korbiniansfest in München und Freising.

EN: In the face of lockdowns and other very restrictive protection and hygiene measures during the corona crisis of 2020, there have been discussions about the adequate celebration of religious services in these difficult situations. They have been a challenge for the Church’s festive culture as a whole. As an example, in this article the author presents two feasts which are highly important to local churches in Germany – the feast of St Liborius in Paderborn and the feast of St Corbinian in Munich and Freising – and how they were celebrated in 2020.

Der Mensch in der Krise ist Gottes Anliegen. Pastoralpsychologische Perspektiven der Corona-Krise.

DE: Die Corona-Pandemie ist ein Jahrhundertereignis: weltweit, unvorhersagbar im Zeitpunkt, ohne bewährte Bewältigungskonzepte. In diesem Beitrag werden die direkten psychischen Folgen bei Erkrankten und die indirekten psychischen bzw. psychosozialen Folgen bei mittelbar Betroffenen und in der Gesamtbevölkerung dargestellt. Krisen erzeugen Deutungs- und Handlungsbedarf. Die Botschaft des Glaubens lautet: Der Mensch in der Krise ist Gottes Anliegen. Der Handlungsauftrag an die Kirche lautet: Diakonisches Engagement durch Hinzukommen und Mitgehen. Dies ist die Chance für einen neuen Schwerpunkt in der Pastoral.

EN: The COVID-19 pandemic may be considered a “once-in-a-century” event: global, unforeseen, without proven therapies or containment strategies. The following article explores the immediate psychological consequences for those who are affected with COVID-19, as well as the psychological and psychosocial effects among those indirectly affected, and in the general population. Crises demand both interpretation and action. From the perspective of Christian faith, the person in crisis is God’s concern. The church is now called to committed diaconal encounter through engagement and accompaniment—a veritable opportunity for a new focus in pastoral ministry.

„Nachgehen in die äußersten Verlorenheiten“. Pastoral in Zeiten von Corona.

DE: Die Frage, wie die Kirche in der Corona-Pandemie möglichst viele ihrer Aktivitäten aufrechterhalten kann, führt zu einer falschen Logik. Die pastorale Praxis der Kirche sollte sich stattdessen an einer Mahnung Alfred Delps ausrichten. Er forderte die „Rückkehr der Kirchen in die Diakonie“. Mit der selbstlosen Verausgabung im Dienst für die Menschen leistet die Kirche die Hilfe, die in Zeiten von Corona von ihr gefordert ist, und erfüllt zugleich die Botschaft vom Heil Gottes.

EN: The question how the church can keep up as many of its activities as possible during the corona pandemic results in a false logic. The church’s pastoral practice should instead align with a warning by Alfred Delp. He demanded a “return of the church to diaconia”. With its selfless care for the people, the church provides the support that is needed in times of corona and simultaneously fulfills the message of God’s salvation.

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