Wozu brauchen wir noch Kirche und wozu nicht?

Diese Frage diskutierten Erzbischof Udo Markus Bentz und FAZ-Redakteur Daniel Deckers bei der Montagsakademie im voll besetzten Audimax. Moderiert von Rektor Prof. Dr. Aaron Langenfeld analysierten sie Gegenwart und Zukunft kirchlichen Handelns.

Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz und Dr. Daniel Deckers, seit 2011 Ressortleiter „Die Gegenwart“ bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, haben bei der dritten Montagsakademie-Vorlesung der Theologischen Fakultät Paderborn einen kritischen und gleichzeitig hoffnungsvollen Dialog geführt. Unter dem Titel „Wozu brauchen wir noch die Kirche – und wozu nicht mehr?“ diskutierten sie am 3. November im Audimax über die Rolle der Kirche heute.

 

In seinem Impulsvortrag formulierte Erzbischof Dr. Bentz klar: „Eine Kirche, die in sich ruhend als Anstalt der Wahrheit alle Mittel der Wahrheit in sich selbst hat, keiner Korrektur bedarf – eine societas perfecta, eine vollkommene Gesellschaft – eine solche Kirche braucht es heute nicht mehr.“ Stattdessen brauche es mehr denn je eine Kirche „als Zeichen, als Werkzeug, als Sakrament, als Instrument für die Einheit zwischen Gott und den Menschen, die Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen teilt.“ Seine Ausführungen gliederte er in drei Ebenen:

„Glaube beginne mit einer persönlichen Gottesbeziehung“, so Bentz. Doch dieser Glaube brauche irgendwann Gemeinschaft, Ausdruck und auch Korrektur. „Kirche ist der Raum, in dem persönlicher Glaube geerdet, gefeiert und bewahrt wird.“ Die Institution sei keine Einschränkung, sondern ermögliche überhaupt erst die Freiheit zu glauben – solange sie sich nicht zwischen Mensch und Gott stelle, sondern begleite und ermögliche.

Kirche brauche es auch als profilierte Stimme im Pluralismus, etwa durch ihre Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser. Dort schreibe sie christliche Werte in die Wertevielfalt der Gesellschaft ein – etwa durch ihr Menschenbild und den Fokus auf Maßstäbe jenseits des reinen Nutzens. „Kirche sucht nach den Lücken im sozialen Netz – und legt den Finger in die Wunde, wo Menschen hindurchfallen“, so Bentz.

Vor allem mit Blick auf bedrängte Christinnen und Christen im Nahen Osten betonte der Erzbischof die Bedeutung der Kirche als weltweite Gemeinschaft der Hoffnung. Sie verbinde Menschen über nationale Grenzen hinweg, stifte Solidarität und sei moralische Autorität im Dienst an den Schwachen.

Dr. Daniel Deckers mahnte in seinem Vortrag, die Kirche müsse Diversität als Chance verstehen – und dürfe nicht in einen „ekklesiologischen Narzissmus“ verfallen. Der Begriff stamme von dem Theologen Johann Baptist Metz, der ihn im Jahr 1968 in einem Radiogespräch mit Karl Rahner geprägt habe, so Deckers. Metz habe sich damit auf das Zweite Vatikanische Konzil bezogen, das seiner Ansicht nach die Problematik der Kirche in Welt und Gesellschaft zu sehr im Spiegel der Selbstreflexion der Kirche gesehen habe. Die Hauptprobleme der Kirche, etwa die Frage nach Gott angesichts eines wachsenden Atheismus, seien im Zuge dieses Narzissmus nicht angegangen worden.

Dem Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland attestierte Deckers ein ähnliches Problem. Zwar hege er Sympathie für dessen Anliegen, doch einige wichtige Themen seien mangels Lobby nicht auf die Agenda gelangt. Insbesondere bemängelte er, dass der Wandel im Verhältnis von Kirche und Gesellschaft auf den Feldern der drei kirchlichen Selbstvollzüge Liturgie, Verkündigung und Diakonie überhaupt nicht thematisiert worden sei.

Kirche müsse die Schönheit des Glaubens erfahrbar machen und Menschen in eine „emotional community“ führen, so Deckers. „Wenn Kirche diese Kraft nicht aufbringt, wird sie ihren Auftrag verfehlen.“

Deckers richtete den Blick auf über 100.000 Mitarbeitende in Caritas, Bildung und Beratung. Gerade in einer säkularer werdenden Gesellschaft seien sie Zielgruppe kirchlicher Sorge. Er forderte Investitionen in deren Qualifikation, „damit sie anderen Mensch sein können.“

Die Kirche müsse Räume offenhalten für Transzendenzerfahrungen. In diesem Zusammenhang kritisierte Deckers die „Entheimatung“ durch Kirchenumnutzungen und -schließungen. Er warnte davor, spirituelle Sehnsüchte junger Menschen vorschnell als „reaktionär oder traditionalistisch“ abzutun, sondern stattdessen die auch durch sie entstehende Diversität als Chance zu sehen.

In seiner Replik auf Deckers hob Erzbischof Bentz das starke Plädoyer für Diversität hervor. Die Herausforderung bestehe darin, kirchliche Vielfalt so zusammenzuführen, dass sie als komplementäre Einheit wirksam wird.

Deckers griff die Idee der commonground initiatives aus den USA auf, bei denen nicht das Trennende, sondern das Verbindende im Fokus steht. Kirche müsse sich als Teil von Netzwerken verstehen – ähnlich wie Online-Plattformen, auf denen eigene und fremde Inhalte angeboten werden können. Bentz stimmte zu, betonte aber: „Dafür braucht es Selbstbewusstsein und Identität. Je unsicherer ich bin, desto mehr kreise ich um mich selbst.“

Auch die gegenwärtige kirchliche Stimmungslage war Thema. Deckers berichtete von kirchlichen Mitarbeitenden, die vor allem den Niedergang sähen. Bentz bestätigte, dass diese Haltung existiere, betonte aber: „Wir müssen auf die Kräfte schauen, die Neues wollen.“ Statt sich zum Beispiel über den Rückgang der Eucharistiefeiern zu beklagen, solle man die vorhandenen Feiern umso bewusster gestalten.

Text: Dr. Claudia Nieser / Erzbistum Paderborn

Den Mitschnitt der Veranstaltung finden Sie wie gewohnt in der Mediathek der Theologischen Fakultät Paderborn .

 

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