„Der Glaube kann helfen, nicht von der Angst bestimmt zu werden“

Lebhafte Diskussionen über den Umgang mit der Angst und die Rolle der Religion im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung "rethinking religion – Gespräche über Religion im Erzbistum Paderborn" im Sitzungssaal des Historischen Rathauses Paderborn.

Die drohende Klimakatastrophe, der Krieg in unmittelbarer Nähe, die Aufkündigungen der transatlantischen Sicherheitsgarantie sind nur einige der angstauslösenden Megathemen unserer Zeit. Doch auch im Kleinen wird oft eine Angst spürbar: Dass sich die Lebensumstände bedrohlich verschlechtern werden oder bereits verschlechtert haben durch Kinder- und Altersarmut, Wohnungsnot, Pflegenotstand, das Schwinden des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Sinnverlust. Wie aber kann man mit diesem Gefühl leben? Wie kann man neu Vertrauen zueinander und in die sozialen Zusammenhänge gewinnen? Und besitzt Religion hier das Potenzial der Vertrauensstiftung? Diese Fragen stellten Prof. Dr. Aaron Langenfeld, Rektor und Fundamentaltheologe der Theologischen Fakultät Paderborn, und Prof. Dr. Dr. Martin Breul, Professor für Katholische Religion an der Technischen Universität Dortmund, den Podiumsgästen der Veranstaltung rethinking religion. Gespräche über Religion im Erzbistum Paderborn im gut besuchten Sitzungssaal des Historischen Rathauses Paderborn. Schriftstellerin Nora Bossong, der Paderborner Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. René Fahr und der Salzburger Fundamentaltheologe und Religionsphilosoph Prof. Dr. Martin Dürnberger diskutierten miteinander und mit dem Publikum angeregt über die Fragen, moderiert von Prof. Dr. Aaron Langenfeld.

„Sich mit Menschen zusammenzuschließen, die die eigenen Werte teilen“

Sabine Kramm, stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Paderborn, begrüßte das zahlreich erschienene Publikum im Sitzungssaal des Rathauses und gab in ihrem Grußwort erste Antworten auf die Fragen. Gegen die beängstigende Informationsflut helfe Reduktion und es sei hilfreich, sich mit Menschen zusammenzuschließen, die die eigenen Werte teilen. Sie frage sich aber mittlerweile an diesem Ort, dem Sitzungssaal des Historischen Rathauses, an dem das Kommunalparlament tagt, welche Menschen hier noch ihre Werte teilten: „Und da ist plötzlich eine reale Angst, dass ich mich frage vor den nächsten Kommunalwahlen, wie sieht es danach aus, was sage ich hier, wer hört, was ich sage und was werden dann andere über mich sagen, wenn sich vielleicht die Mehrheitsverhältnisse ändern?“

„Hoffnung, dass das Leben nicht einfach zu Ende geht“

Die Religion könne, so Nora Bossong, mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin, Menschen in Momenten der Angst zumindest das Gefühl des Gesehenwerdens vermitteln. „Religion macht uns doch ein durchaus großes und gutes Angebot mit der Hoffnung, dass das Leben nicht einfach zu Ende geht“, formulierte sie, „das ist eigentlich fast unschlagbar“. Für diese letzten großen Fragen sei die Politik die falsche Antwortgeberin. Politik müsse natürlich auf Fragen wie Klimawandel oder Kriege pragmatische Antworten geben. Aber bei den Fragen, die unsere ureigensten Ängste berühren, drohe Politik eher in den Bereich der Instrumentalisierung zu geraten als Antworten geben zu können. Der Vertrauensverlust in Institutionen, das Gefühl des im Stich gelassen Seins seien aber Momente, in denen die Menschen greifbar seien für Akteure, für Strömungen, für Gedanken, die genau diese Angst in ihrem eigenen Sinne instrumentalisierten.

„Treiber dieser Pandemie der Angst sind im Wesentlichen die sozialen Medien und die Smartphones“

Prof. Dr. Martin Dürnberger, Professor für Systematische Theologie an der Paris Lodron Universität in Salzburg und Obmann der renommierten Salzburger Hochschulwochen, zitierte Jonathan Haidts Buch „Generation Angst“ zur mentalen Gesundheit der Generation Z. Diese habe mit einer realen Zunahme von Angststörungen und Depressionen, von Selbstverletzungen und Suiziden zu kämpfen. Die Weltlage sei aber eigentlich nicht sehr viel schlimmer als sie immer schon gewesen sei. „Was mehr Angst erzeugt ist also nicht die Weltlage, sondern die Dauerpräsenz dieser Weltlage wenige Zentimeter vor unserer Nase“, zu diesem Schluss komme laut Dürnberger der Autor: „Treiber dieser Pandemie der Angst sind im Wesentlichen die sozialen Medien und die Smartphones“.

Für Dürnberger ist es aber ebenso wichtig zu fragen, was sozusagen den Sauerstoff zuliefere, der dann diese Angst entzündet und so heftig und so gut brennen lässt in uns. Und wie man die Abwehrkräfte stärken könne, um nicht vollständig angstgetrieben und angstbestimmt zu leben. „Glaube ist kein einfaches Allheilmittel gegen die Angst“, formulierte es der Religionsphilosoph: „Aber selbstverständlich kann Glaube helfen und hilft Glaube Menschen, nicht von der Angst bestimmt zu werden.“ Glaube sei aber allzu oft auch Brandbeschleuniger von Ängsten gewesen, Ängsten vor dem Gericht und vor der Hölle, Angst davor nicht gut genug zu sein, Ängste auch vor den Fremden, die religiös befeuert wurden. Dürnberger rät, Angst als Schwester Angst zu personalisieren analog zum Bruder Tod in Franz von Assisis Sonnengesang. „Das ist sicherlich nicht unsere Lieblingsschwester und wenn sie zu Besuch kommt, dann ist das meistens unangenehm“ so Professor Dürnberger: „Aber als Schwester ist sie sozusagen eine von uns, sie ist keine absolute oder letzte Wirklichkeit, die über uns bestimmen kann und hat nicht das letzte Wort.“ Christlich gesehen stehe dagegen die Hoffnung, dass dieses letzte Wort ein anderer hat.

„Vertrauen braucht ein Narrativ, das vom Gelingen erzählt“

Prof. Dr. René Fahr, Vizepräsident der Universität Paderborn und Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Corporate Governance, führte den Begriff „Animal Spirits“ der Nobelpreisträger George A. Akerlof und Robert Schiller an. Große Investitionsentscheidungen würden oft aus einem gewissen Bauchgefühl heraus getroffen, weil die Komplexität sich überhaupt nicht durchschauen ließe, sondern irgendwie erfasst werden müsse. „Man muss ein gutes Gefühl, Zuversicht und Vertrauen bei der Entscheidung haben“, erklärt Professor Fahr: „Dieses Vertrauen braucht aber ein Narrativ, das vom Gelingen erzählt.“ Für den persönlichen Umgang mit der Angst benötige der Mensch Handlungsspielraum und das Gefühl von Selbstwirksamkeit, auch im kleinsten Rahmen. Dies können man trainieren und würde sich eben nicht fremdbestimmt fühlen.

Wie wir Vertrauen in Institutionen gewinnen

Auf die Frage, wie Institutionen Vertrauen zurückgewinnen können, antwortete René Fahr, dass Institutionen zunächst einmal funktionieren müssten. Dazu brauche es die konsequente Durchsetzung der institutionellen Regeln, Transparenz und glaubwürdige Führung. Für die Kirche ergänzte Nora Bossong, dass sie es als Machtinstitution schwer habe, das Vertrauen, das sie eigentlich schenken kann, indem sie für die Menschen da ist, sichtbar werden zu lassen. Der Missbrauchsskandal und vor allem die Art und Weise des Umgangs damit hätten das Vertrauen in die Institution nachhaltig erschüttert. Damit bliebe eine Institution, die sich auf Nächstenliebe aufbaue, immer wieder hinter ihrem Selbstanspruch zurück.

Die Rolle der Religion bei der Angstbewältigung

Die Rolle der Religion bei der Angstbewältigung und Vertrauensstiftung sieht Nora Bossong darin, dass die Kirche Hoffnung und Glauben biete und einen Ort schaffe, an dem sich Menschen mit Wohlwollen begegnen könnten. Hier könne Zusammenhalt über Herkünfte, über Milieus hinweg geschaffen werden, wenn die Kirche bedingungslos für Menschen da sei. René Fahr sieht die Aufgabe der Kirche darin, schon in der Schule Grundwerte zu vermitteln, damit Menschen sich anständig verhalten könnten. Martin Dürnberger sieht die Rolle u.a. in der Gestaltung von Narrativen, die vom Guten und von Hoffnung handeln.

rethinking religion – Gespräche über Religion im Erzbistum Paderborn ist ein Diskussionsforum, das gemeinsam vom Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn, Prof. Dr. Aaron Langenfeld, und von der Professur für Katholische Religion an der Technischen Universität Dortmund, Prof. Dr. Dr. Martin Breul, organisiert wird. Das Kernanliegen ist es, menschliche Grundfragen in tagesaktuellen Kontexten zu reflektieren und dabei bewusst auf die Potenziale und Rollen von Religion zu schauen. Formal soll die Veranstaltungsreihe in der jeweiligen Stadtöffentlichkeit eine Gelegenheit bieten, direkt mit Public Intellectuals, also öffentlichen Intellektuellen, ins Gespräch zu kommen. Die jährlich zwei Veranstaltungen mit namhaften Podiumsgästen zum jeweiligen Thema finden abwechselnd im Frühjahr in Paderborn und im Herbst in Dortmund statt.

Die Veranstaltung wird vom Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften der Universität Paderborn (ZeKK), der Bank für Kirche und Caritas eG, der Stadt Paderborn und dem Verein der Freunde und Förderer der Theologischen Fakultät Paderborn e.V. gefördert.

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