In der Philosophie und Theologie wird kontrovers diskutiert, ob der Relativismus eine Bedrohung für die Moderne im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen darstellt, insofern er absolute Geltungsansprüche infrage stellt und dadurch in religiöser Hinsicht – worauf vor allem das Lehramt der katholischen Kirche in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit Nachdruck hingewiesen hat – zu einem Glauben ohne Wahrheit und zur Gleichgültigkeit gegenüber fremdreligiösen oder säkularen Auffassungen führt. Oder ob es sich genau umgekehrt verhält: Stellt gerade der Relativismus in seinen verschiedenen Formen eine angemessene Denkform der pluralistischen Moderne oder Postmoderne dar, die nicht länger auf die in der Geschichte oft mit Gewalt und Zwang verbundene Durchsetzung der je eigenen absoluten Wahrheit, sondern auf epistemische und praktische Toleranz fokussiert ist, für die es eine Koexistenz von pluralen Geltungsansprüchen geben kann? Und muss die lehramtliche Kritik am Relativismus aus theologischer Sichtweise nicht als Zeichen einer modernitäts- oder sogar demokratiefeindlichen Einstellung verstanden werden, die das Freiheitsbewusstsein des Menschen mit geschichtsenthobenen Vorgaben normieren will? Sollte sich also auch das Christentum, wie es zum Teil von Seiten Theologie gefordert wird, in Bezug auf den eigenen Geltungsanspruch relativistisch verstehen?
Herausarbeitung der Bezüge zwischen philosophischem Relativismus und christlichem Geltungsanspruch
Die Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Positionen, insbesondere, wenn sie politisch aufgeladen sind, haben heutzutage bisweilen den Charakter eines Kulturkampfes um die angemessene Verortung des Christentums in der säkularen Gesellschaft angenommen, bei der für die jeweiligen Kritiker die erste Sichtweise
als antimoderner oder fundamentalistischer Wahrheitsabsolutismus und die zweite als unseriöser Relativismus des „Anything goes“ erscheint. Es soll die bislang theologisch kaum oder gar nicht untersuchten Bezüge zwischen philosophischem Relativismus und christlichem Geltungsanspruch herausarbeiten und damit zu einer reflektierten Verhältnisbestimmung beitragen, bei der der Relativismus weder als Schreckgespenst für den Absolutismus noch als Allheilmittel für den Pluralismus erscheint.
Anschluss an den breiten Forschungsdiskurs vor allem im angelsächsischen Raum
Das Forschungsprojekt „Relativismus“ am Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie und theologische Propädeutik beschäftigt sich seit etwa zehn Jahren mit diesem Streitthema und schließt sich an den breiten Forschungsdiskurs vor allem im angelsächsischen Raum an. Aktuell erschienen ist eine englischsprachige Publikation bei CUP zum Verhältnis von Monotheismus und Relativismus. Zuvor beschäftigte sich eine Anthologie mit dem Verhältnis von Relativismus und christlichem Glauben aus verschiedenen fachtheologischen Disziplinen. Zu Beginn der Forschungen hat Professor Irlenborn eine rein philosophische Einführung ins Thema erarbeitet, die es in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gab. Die Forschung zum Relativismus werden fortgesetzt, um einem aktuellen tragfähigen Konzept von Mission nachzugehen, wie es sich unter den Bedingungen von Relativismus, Fundamentalismus und Postkolonialismus darstellen könnte.